Page 17 - sbpstudents_090925_gesamt_kl
P. 17
Steel Ivy / Mauerhofer Valerie, Köb Ambrosia Preisträger
Laudatio
Mit dem Projekt STEEL IVY erhält der verlassene Denn nicht das Wunschmaterial bestimmt die Form,
Flakturm „Peter“ im Wiener Augarten eine kraft- sondern das vorhandene Material eröffnet eine
volle architektonische Antwort auf seine düstere neue architektonische Logik. Klassische Planungs-
Vergangen heit. Die Intervention verwandelt das prozesse, die erst der Konstruktion, dann der Mate-
Relikt nationalsozialistischer Kriegsarchitektur in ein rialwahl folgen, sind hier nicht anwendbar. Stattdes-
„Museum des Widerstands“ – einen Ort der Erinne- sen wird ein räumliches Konzept definiert, das auf
Bildmaterial diverser Materialien und Bautelementen von Verschrottungs-Second-hand oder Re-Use Plattformen rung, des Nachdenkens und der Weitsicht. das verfügbare Material reagiert und gleichzeitig
die technischen Anforderungen erfüllt.
Ein skulpturaler Aufbau, einer explodierten Kapsel
ähnlich, erweitert den massiven Turmkörper aus Der Entwurfsprozess folgt dabei der Idee des
Beton. Seine expressive Formensprache greift architektonischen „Patchworks“ – einer Bricolage
die historische Detonation auf, die den Turm nach im Sinne des französischen Ethnologen Claude
Kriegsende erschütterte – ausgelöst durch ge- Lévi-Strauss, der in Das wilde Denken (1962) den
lagerte Sprengsätze im Inneren. Die Intervention rational-planenden Ingenieur dem improvisierenden
scheint diesen Moment einzufrieren: Abstehende „Bricoleur“ gegenüberstellt. Wo der Ingenieur mit
Fassaden elemente erinnern an wegschleudernde exakt definierten Mitteln arbeitet, nutzt der Brico-
Fragmente, als würde die Energie des Ereignisses leur das, was vorhanden ist – und schafft daraus
noch in der Struktur nachhallen. etwas Neues.
Das Projekt setzt sich intensiv mit dem Bestand Durch die direkte Wiederverwendung von Stahl
auseinander und thematisiert bewusst Patina, lassen sich bis zu 91 % der Treibhausgasemissionen
Verfall und Transformation. Im Gegensatz zu einsparen, die beim Neuproduktionsprozess –
technisch-dominier ten Ansätzen betont STEEL IVY selbst bei Recyclingstahl – anfallen würden. Erst
eine künstler ische, fast skulpturale Haltung, die bei Transportwegen über 590 Kilometern kippt die
den Turm nicht überformt, sondern mit ihm in einen CO -Bilanz zugunsten neuer Recyclingträger.
2
dialogischen Spannungszustand tritt. STEEL IVY setzt damit ein eindrucksvolles Zeichen
für die Potenziale zirkulären Bauens, der Geschichte
Dabei denkt das Projekt Nachhaltigkeit radikal nicht tilgt, sondern erfahrbar macht. Der mit vor-
vertikaler Schnitt seitliche Ansicht
weiter. Es verzichtet vollständig auf neu produ- handenen Mitteln eine neue Architekturform findet.
zierten Stahl und setzt stattdessen auf RE-USE- Und der zeigt, wie ästhetischer Anspruch, techni-
Bauteile, die aus bestehenden Bauwerken rück- sches Know-how und ökologische Verantwortung
gebaut wurden und vor der Verschrottung gerettet zu einer vielschichtigen, lebendigen Komposition
für eine neue Funktion aufbereitet werden. werden können.
Re-Use ist hier weit mehr als bloße Materialwieder-
verwertung: Es ist eine gestalterische Strategie, Preisgeld 2.000,– Euro
die Unplanbarkeit nicht als Mangel, sondern als
Potenzial begreift. Der bewusste Umgang mit
dieser Offenheit eröffnet neue Wege im Umgang
mit besteh enden Strukturen und führt zu einer viel-
schichtigen offenen und überraschenden Ästhetik
einer neuen Baukultur.
16 17

